Bernhard Sekles
"An der Strömen Babels - dort saßen wir und weinten, wenn wir uns an Zion erinnerten", so beginnt Psalm 137, das berühmte Klagelied. Als Bernhard Sekles 1933/34 diesen Psalm vertonte, war auch er in einer katastrophalen, verzweifelten Lage. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor Sekles im Frühjahr 1933 sofort seine Stelle als Leiter des Hoch'schen Konservatoriums in seiner Heimatstadt Frankfurt. Dieses Konservatorium hatte Bernhard Sekles (*1872 in Frankfurt a.M.) durch zahlreiche Reformen zu einer renommierten Ausbildungsstätte geformt; u.a. hatte Sekles dort die weltweit erste Klasse für Jazzmusik an einer Musikakademie gegründet. Zu Sekles' Kompositionsschülern zählten u.a. Paul Hindemith und Theodor W. Adorno.
Sekles' Werke, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreut hatten, durften nach 1933 nicht mehr öffentlich aufgeführt werden; nur in Aufführungen der Jüdischen Kulturbünde wurden einzelne Werke von Sekles nach 1933 noch aufgeführt. Am 8. Dezember 1934 verstarb Sekles in einem jüdischen Altenheim in Frankfurt a.M. Der 137. Psalm, Sekles' letzte Komposition, wurde posthum am 15.10.1935 in der Frankfurter Westendsynagoge bei einer "musikalischen Weihestunde" uraufgeführt.
Im Jubiläumsjahr (150. Geburtstag von Bernhard Sekles) erscheint dieses Werk nun in einer Erstausgabe von Edmund Brownless, der von 1990 bis 2021 Dozent für Gesang und Alte Musik an Dr. Hoch's Konservatorium - Musikakademie Frankfurt a.M. war.
Sekles' Psalm 137 wurde im Rahmen des 16. Frankfurter Tehillim-Psalmen-Projekts vom Interreligiösen Chor Frankfurt einstudiert und am 23.11.2022 im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum in Frankfurt a.M. aufgeführt.
Am 27.01.2024 wird Sekles 137. Psalm vom Chor der Oper Frankfurt in der Frankfuter Paulskirche zum Holocaust-Gedenktag bei einem Abend der Städtischen Bühnen Erinnern für jetzt und die Zukunft aufgeführt,
Bernhard Sekles: Der 137. Psalm (An den Wassern Babylons) für gemischten Chor, Solo-Sopran und Orgel, op. 45 (1933/34). Erstausgabe, herausgegeben von Edmund Brownless.
LMV 424. Partitur. 19,00 €. LMV 424-01. Chorpartitur. 9,50 €.
LMV 424 Sekles Psalm 137.pdf
PDF-Dokument [745.6 KB]
Zur Biographie von Bernhard Sekles
Bernhard Sekles (*20. Juni 1872 in Frankfurt am Main) studierte - nach seiner Schulzeit am Philanthropin - von 1888 bis 1893 am Hoch’schen Konservatorium, u.a. bei Iwan Knorr (Komposition) und Engelbert Humperdinck (Instrumentation). Nach kurzer Tätigkeit als Chordirigent und zweiter Kapellmeister an den Stadttheatern in Heidelberg (1893-1894) und Mainz (1894-1895) wurde Sekles Dozent für Musiktheorie am Hoch’schen Konservatorium. Seit 1906 hatte Sekles dort eine eigene Kompositionsklasse; zu seinen Schülern zählten u.a. Paul Hindemith, Hans Rosbaud, Theodor W. Adorno und Erich Itor Kahn.
1923 wurde Bernhard Sekles zunächst kommissarischer, seit April 1924 alleiniger künstlerischer Leiter des Hoch’schen Konservatoriums. Die finanzielle Lage der aus privaten Stiftungsgeldern finanzierten Einrichtung war schwierig; dennoch gelang es Sekles, das Konservatorium so zu reformieren, dass die Qualität der Ausbildung der staatlicher Musikhochschulen entsprach.
Das Konservatoriumsorchester kam zu neuer Blüte (wovon u.a. Gastdirigate von Wilhelm Furtwängler und Erich Kleiberzeugten); er gründete eine Opernschule, die mit den Städtischen Bühnen kooperierte, und baute eine Kirchenmusikabteilung auf. Außerdem führte Bernhard Sekles ein Privatmusiklehrerseminar ein. Für Furore sorgte Sekles 1928 mit der Einrichtung einer Jazzklasse am Hoch’schen Konservatorium (deren Leitung Sekles dem Ungarn Mátyás Seiber übertrug).
Nach der Machtergreifung der NSDAP wurden auf Empfehlung eines Berichts des „Ausschusses zur Reorganisation des Dr. Hoch’schen Konservatoriums“ von 10. April 1933 die 14 jüdischen bzw. ausländischen Lehrkräfte des Hoch’schen Konservatoriums, darunter auch Sekles und Seiber, zum 31. August 1933 entlassen. Außerdem wurde gegen Sekles 1933 ein sofortiges Hausverbot ausgesprochen. Die abrupte Beendigung seiner Berufstätigkeit führte zu einer rapiden Verschlechterung seiner Gesundheit. Bernhard Sekles verstarb am 8. Dezember 1934 in einem jüdischen Altenheim in Frankfurt am Main.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten sind noch einzelne Werkaufführungen innerhalb der Jüdischen Kulturbünde nachweisbar. Am 15. Oktober 1935 wurde in einer „Musikalischen Weihestunde“ der Frankfurter Westendsynagoge Sekles letzte Komposition, der Psalm 137 für Chor, Sopransolo und Orgel „An den Wassern Babylons“ (op. 45), uraufgeführt.
Nach 1945 haben die Kompositionen von Bernhard Sekles keinen nennenswerten Eingang mehr ins Konzertrepertoire gefunden. Werke von Sekles sind heutzutage allerdings des öfteren wieder im Rahmen von Gedenk- oder Festveranstaltungen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst oder des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main zu hören oder in Konzerten, die sich ausdrücklich der Musik jüdischer Komponisten widmen.